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von Monika Vogler

Mia ist unsere Labradorhündin. 

Sie ist drei Jahre alt, und wie meine Freundin Birgit sagt, ein Schokoladen-Nutella-Mädchen auf vier Pfoten. Wegen ihrer Fellfarbe. Unser vierbeiniges Familienmitglied ist ein ganz ausgeglichenes Wesen, verspielt, verschmust, läuft allem, was geworfen wird, hinterher. Sie macht gerne lange Spaziergänge, aber nicht an der Leine. Mia braucht Freiraum, den sie aber nicht ungestüm nutzt, denn sie kommt zurück, wenn ich sie rufe. Da kann der tollste Hase über das Feld hoppeln, sie rennt zwar erst los, dreht dann aber bei, wenn sie meine Stimme hört. 

Und sie hat eine weitere Eigenschaft. Sie lehrte mich eine Form der Achtsamkeit.

Vor Monaten ging es mir so, dass ich auf meinen Spaziergängen mit ihr, ganz viele Dinge nebenbei erledigte. Da wir im Wald, am See oder zwischen Feldern unterwegs sind, und uns dort nicht den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen, läuft Mia kreuz und quer vor mir her, und ich nutzte in der Regel die Gelegenheit, ob Ball werfend oder nicht, Nachrichten abzuhören, Emails zu lesen, Telefonate zu führen, Sprachmemos zu verfassen, denn diese Minuten des Spaziergangs sollten ja nicht „ungenutzt“ bleiben. Manchmal legte ich Wegstrecken blind für die Umgebung zurück, während ich fast nur Augen und Ohren auf das Telefon ausgerichtet hatte. Auf Mia konnte ich mich ja verlassen. 

Irgendwann auf unseren Spaziergängen begann Mia Unfug zu machen. Okay, Labradore sind Wasserhunde, also sehen sie jede noch so kleine Pfütze als einen potentiellen Tümpel an, der zum Baden einlädt. Mia macht da keine Ausnahme. Doch sie begann, schlamm- und schmutzwasserbespritzt, wie sie war, an mir hochzuspringen. Sie buddelte, hörte nicht mehr, wenn ich sie rief, rannte Radfahrern hinterher. Sie winselte nach den Leckerlis in meiner Jackentasche. 

Ich war also gezwungen, meine Nebentätigkeiten am Handy immer wieder und immer öfter zu unterbrechen. Das machte mich ungehalten und nervös. Und je nervöser ich wurde, desto ungestümer wurde Mia. Und dann passierte es. Es war an einem Freitagmorgen im Herbst. Die Wege zwischen den Feldern waren vom tagelangen Regen ziemlich aufgeweicht. Ich wollte unbedingt noch zwei Nachrichten versenden und suchte hierzu die Adressen in meinem Handy, während ich nebenbei für Mia einen Stock werfen wollte. Den ließ sie aber nicht los. So zogen wir beide daran, während ich auf den Bildschirm meines Telefons blickte. Die Erhebung auf dem Feldweg übersah ich, stolperte und verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Mitten in den Matsch. Mühsam rappelte ich mich auf und kniete auf dem Boden. Mia saß neben mir, mein Handy lag genau vor ihren Füßen. Wir blickten uns beide an. Und in diesem Moment brach die Sonne durch die Wolken. Es war total surreal. Obwohl ich begann, die Kälte und Nässe an meinen Beinen zu spüren, blieb ich einfach sitzen. Sah das Sonnenlicht auf den Feldern, das Spiegelbild des Himmels und der Wolken in der großen Pfütze vor mir. Ich spürte den Wind auf meiner Haut und die Stille in meinem Kopf. Ich musste fallen, um den Aus-Knopf zu finden. Ich war nicht verletzt. Mia ging es gut. Mein Telefon hatte nichts abbekommen. Langsam stand ich auf und ging still den Weg bis zu meinem Auto. Mia lief völlig unaufgeregt neben mir. 

Seit diesem Erlebnis bleibt mein Telefon fast immer in meiner Tasche. Und Mia und ich gehen spazieren. Gemeinsam. Ich schaue ihr zu, spiele mit ihr, fühle den Regen auf meiner Haut oder die wärmenden Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Ich sehe die Wolken am Himmel Figuren entwerfen und schaue zu den Bäumen am Waldrand. Manchmal bläst der Wind so stark, dass er mit Mias Ohren spielt, manchmal streichelt er kaum merklich über die Baumwipfel. 

Und dabei atme ich langsam ein und aus und bin mir für diese Minuten ganz bewusst, im Hier und Jetzt zu sein.

Monika Vogler, im März 2020